Sein eigener Chef werden:
Schüler bestimmen ihre Pausen selbst
aus:
Allen Kindern gereicht werden
Aufgabe und Wege
Horst Barnitzk
Ulrich Hecker (Hrsg.)
Wer gut arbeitet, braucht Pausen. Und hier gilt auch die
Umkehrung: Wer sich Pausen nimmt, arbeitet gut. Pausen bringen wieder
frischen Wind in die Arbeit. Auch unermüdlich arbeitende Menschen
»schalten mal ab«. So weit besteht Einigkeit unter den »Gelehrten«.
Aber wie fühlen sich Lehrerinnen und Lehrer dabei, wenn sie sehen, dass
in ihren Klassen einige Kinder zwar an ihren Tischen sitzen, aber sich
innerlich in einer Art von »Standby«-Modus befinden. Wenn Lehrpersonen
unbedingt Leistung fordern, dann tun diese Schüler eben so, als ob sie
arbeiteten. In Wirklichkeit schweifen ihre Gedanken ab. Wenn sie andere
nicht stören, toleriert man diese Phase des Abdriftens. Selbst wenn
sie andere ansprechen und ablenken, nehmen dies manche Pädagogen hin,
ohne zu intervenieren. Sie können ja verstehen, dass die Schüler nach
langem Sitzen auch mal müde werden. Pädagogen sind aber nicht glücklich
damit, weil sie spüren, dass ihnen die Schüler entgleiten.
Andererseits sagen sie sich: »Die Kinder brauchen doch auch mal eine
Pause – und die nehmen sie sich selbstständig.. .«. Viele haben sich
daran gewöhnt, die Kinder frei entscheiden zu lassen, wann sie
»abschalten«. Aber nur wenige haben sich gefragt, welche Bedingungen
Kinder brauchen, um wirklich eine erholsame und fruchtbare Pause machen
zu können.
Vor dem Fenster eines Klassenraumes in der Grundschule Berg Fidel (vgl.
Stähling 2009) befindet sich ein Spielgelände mit Sandkasten und
Schaukeln. Außerdem gibt es in der Klasse für Kinder einen wunderbaren
»Lesehimmel« auf einer Hochebene und einen Bauteppich. Warum sollten
sich hier überall nicht die Kinder während der »freien Arbeit«
aufhalten können, wenn sie Pause benötigen?
Die Kinder haben gesagt, warum sie Pausen brauchen:
- um sich von zu Hause zu erholen
- um ihre Müdigkeit zu bekämpfen
- um ihrem Bewegungsdrang freien Lauf zu lassen
- um überhaupt arbeitsfähig zu werden
- um einer überfordernden Aufgabe ein Ende zu setzten
- um sich mit ihren Freunden zusammenzutun
- um Probleme zu besprechen
- und natürlich auch, um sich von der anstrengenden Arbeit zu erholen, die hinter ihnen liegt.
Wenn wir die Kinder ernst nehmen, dann können wir feststellen,
dass für manche gleich zu Beginn des Schulmorgens eine Pause notwendig
ist. Jedes Kind wird lernen, den individuell richtigen Pausenzeitpunkt
zu finden. Wenn ein Kind fragt, ob es sich eine Pause nehmen darf, ist
dies ein gutes Zeichen. Die Lehrerin reagiert darauf sehr
unterschiedlich: Sie kann spüren oder nachfragen, wenn es sich um
Müdigkeit aufgrund einer langen Fernsehnacht handelt. Sie kann sich von
einem anderen Kind zeigen lassen, was es bisher gearbeitet hat. Sie
kann merken, dass ein Kind ungeheuer viel getan hat, an die Grenze
gekommen ist und nun einfach »Dampf ablassen« will. Mit Recht auch mal
laut!
Sie sucht bei einem anderen Kind eventuell das Gespräch, wenn sie
spürt, dass ihm etwas auf dem Herzen liegt, und regt an, ins Tagebuch
zu schreiben oder das Klassenratbuch zu nutzen, damit bei Gelegenheit
in der Klasse gemeinsam nach Lösungen gesucht werden kann. Sie schlägt
vielleicht vor, dass das Kind mit seinem vertrauten Freund eine kleine
Runde auf dem Schulhof dreht und dabei alles bespricht.
Andere Kinder kennen Pausen gar nicht – sie erlauben sich nicht, eine
Pause zu machen, weil sie meinen, dass dies in der Schule während der
Arbeitszeit nicht zulässig ist. Diese Kinder haben besonders viel zu
lernen. Über das Lernen selbst!
In den Klassen der Grundschule Berg Fidel steht fast jeden
Morgen in den ersten beiden Stunden »freie Arbeit« auf dem Tagesplan.
Die Kinder arbeiten aber nicht ohne Unterbrechung, sondern nehmen sich
kleine individuell gestaltete Pausen. Nach diesen zwei Stunden kommt
die »große« Bewegungspause für alle gleichzeitig auf dem Schulhof.
Anschließend frühstücken die Kinder. Es folgt eine
Tagesplanbesprechung: Was werden wir heute noch machen? Blick auf die
gesamte Woche.
Danach setzen sich alle zum Lernklassenrat in den Sitzkreis. Sie werfen einen gemeinsamen Rückblick auf die freie Arbeit:
- Was ist mir heute gelungen?
- Was war hilfreich?
- Woran arbeit ich auch morgen weiter?
Individuelle Ziele werden besprochen:
- Was will ich morgen anders machen?
- Was hat geholfen, damit ich meinem Ziel ein Stück näher kommen konnte?
- Wann habe ich mir eine Pause gegönnt?
- Wie lange dauerte sie? Wann setzte ich meine Arbeit fort?
Es geht darum, dass die Kinder lernen, ihr »eigener Chef« zu werden.
Sie merken, dass sie es selbst in der Hand haben, ob sie etwas
schaffen. Ihr Erfolg hängt davon ab, ob sie Verantwortung für ihre
Arbeit übernehmen. Lernen ist dann gut, wenn die Energie voll auf die
Arbeit gelenkt werden kann. Kinder merken, dass die Arbeit Spaß macht,
wenn sie Pausen einlegen können.
Ein wichtiges Thema im Lernklassenrat kann auch der Umgang mit
Störfaktoren sein: Wenn Kinder etwas »ablenkt«, können sie selbst etwas
daran ändern: Sie können sich einen anderen Arbeitsplatz suchen, der
ihren Bedürfnissen entspricht. Oder sie rennen einmal um den Schulhof –
am besten lachend mit Freund –, um danach mit frischen Kräften neu an
die Arbeit zu gehen. Auf jeden Fall muss Pause möglich sein. Kinder
lernen hier, sich selbst zu fragen, ob sie jetzt eine Pause brauchten.
Manche Klassen in der Grundschule Berg Fidel besetzen an einem Morgen
die Turnhalle. In der »freien Arbeit« können Kinder wählen, dort eine
Bewegungspause zu nehmen. In der Halle ist eine »Bewegungslandschaft«
aufgebaut, die allen vielfältige Bewegungsanreize bietet. Der
bereitstehen den Sportlehrerin zeigen die Kinder eine Wäscheklammer –
das »Krokodil«, das eine Uhr im Maul trägt. Diese Zeitansage begrenzt
den Aufenthalt in der Halle, damit auch andere drankommen können. Dies
lässt sich wunderbar mit der Nachbarklasse kombinieren, die zeitgleich
das Angebot nutzt, sodass die Turnhalle immer voller Kinder ist und
zugleich in der Klasse intensiv gearbeitet werden kann.
Die Kinder brauchen für eine Pause:
- eine richtige Einstellung, sich eine Pause nehmen zu können,
- einen guten Ort für Bewegung, Entspannung oder »Dampf ablassen«,
- flexible Zeitvorgaben, die den passenden Moment für eine Pause erlauben.
Sind diese Bedingungen nicht erfüllt, dann sehen wir immer wieder
Kinder, die Arbeit simulieren und innerlich zu einer heimlichen Pause
in die innere Emigration verschwinden, oder solche, die während ihrer
Arbeitszeit Freizeitgespräche (»Kaffeeklatsch«) führen.
Zum erfolgreichen Arbeiten brauchen alle eine gute Pausenkultur.
Vielleicht ergibt sich dann von selbst, dass sowohl Zeiten der Muße und
der Besinnung als auch des Feierns, Singens, Lachens und auch Wanderns
ihren berechtigten Platz in Schule wieder finden: Das Ende der Hektik
und der Anfang von Gelassenheit. Die Krönung wäre, wenn die Kinder sehen
dürften, dass auch die Erwachsenen eine gemütliche Pause in einer
entsprechenden Ecke machen. Wer hindert sie daran? Die Kinder könnten
etwas von den Erwachsenen lernen.
Selbst auferlegte Verbote beschränken oft die Phantasie. Wer aber kann
Lehrkräfte daran hindern, etwas Vernünftiges zu erproben (vgl.
Stähling/Wenders 2009)? Kein Stunden tafel bastler kann ernsthaft
glauben, dass jeder Mensch (erst oder schon) nach 45 Minuten eine Pause
braucht. Je schöpferischer ein Mensch arbeitet, umso freier wählt er
seine Pause selbst.
Er ist eben sein eigener Chef.
Literatur
Stähling, R. (2009): »Du gehörst zu uns« – Inklusive Grundschule. Baltmannsweiler: Schneider Hohengehren.
Stähling, R. / Wenders, B. (2009): Ungehorsam im Schuldienst. Der
praktische Weg zu einer Schule für alle. Baltmannsweiler: Schneider
Hohengehren.